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Beitrag vom 05.09.2012
Dichter und Kämpfer – das Leben als Poetryslammer in Deutschland. Kinostart: 6. September 2012
Laura Wösch
Regisseurin Marion Hütter hat sich in ihrem ersten Langfilm der jungen WortakrobatInnen-Szene gewidmet und dabei vier junge Talente in ihrem Kampf um den deutschen MeisterInnentitel begleitet.
Sich als SchriftstellerIn in die gesellschaftliche Isolation zu begeben, gilt als notwendiges Übel oder willkommener Rückzug. PoetInnen verschanzen sich in Bibliotheken und hinter Büchertürmen, die bereits ein Eigenleben führen. Ziel ist meist, die eigenen Wörter bald ins Regal und sich selbst beiseite stellen zu können. Wer heutzutage lieber mit Worten jongliert, als im Stillen über ihnen zu brüten, hat die Möglichkeit, seine Kunst im popkulturellen Glamour zu performen und bei entsprechendem Erfolg, zumindest Szene-intern, als Poetry SlammerIn Popstarstatus zu genießen.
Poetry Slams sind DichterInnenwettstreite, bei denen AutorInnen in den Ring steigen, um sich von einer ExpertInnen-Jury bewerten zu lassen. Diese, in den 1980er Jahren in den USA entstandene Kunstform, erfreut sich seit den 1990er Jahren auch in Deutschland zunehmender Popularität. Während der Performance müssen die DichterInnen ihre selbst verfassten Texte auf einer Bühne so kreativ und ausdrucksstark wie möglich darbieten. Allein die Sprachmelodie bleibt ins Korsett gezwängt - gesungen werden darf nämlich nicht und auch Requisiten oder Instrumente sind Tabu. Einsam und atemlos fühlen sich die Pop-PoetInnen auf der Bühne nur, solange um die Gunst des Publikums gebuhlt wird. Haben sie es erst auf ihrer Seite, werden sie von Beifall angetrieben, durch die eigene Performance getragen. Ist dieser Moment erreicht, entsteht eine Stimmung, die eineN glauben lässt, mensch wäre auf einem Rockkonzert.
Regisseurin Marion Hütter, selbst Poetry-Slam-Fan, begleitete in "Dichter und Kämpfer" vier junge KünstlerInnen durch ihr Jahr zwischen zwei Meisterschaften. Ihre ProtagonistInnen sind alle Teil einer stetig wachsenden SlammerInnen-Szene, denn die junge Dichtkunst hat sich mittlerweile vom subkulturellen Underground längst an die popkulturelle Oberfläche gekämpft. Innerhalb der Szene wird diese Entwicklung sehr zwiespältig betrachtet. Niemand ist gerne Mainstream.
"Früher war man einer von 100, jetzt ist man einer von 1000: Lektionen in Demut", so Sebastian23, einer der ProtagonistInnen des Films. Wer sich jedoch gegen die Kommerzialisierung wehrt, würde an der Realität vorbeiziehen. Julius Fischer ist so einer, er verortet sich lieber abseits des Mainstreams, erklärt er Döner essend, sich im ausklappbaren Fernsehsessel betont schrullig inszenierend. "Ich werde wahrscheinlich nie in einem normalen Job arbeiten und mich damit immer am Existenzminimum bewegen" meint er lässig, und, dass er keinen richtigen Masterplan für sein Leben habe, Hauptsache er könne irgendwann einmal essen, ohne zu kleckern. Philipp Scharrenberg hingegen weiß sich als Ex-Deutscher Meister 2009 zu vermarkten und macht nun Kabarett, denn vom Slammen alleine leben will er nicht. "Klar kann man mit den paar Hunnis auskommen, aber wenn man dann irgendwann denkt: Och, ich brauch mal ´ne eigene Bude oder ich will mal jemand zum Essen einladen können, da muss man sich schon nach anderen Sachen umgucken."
Theresa Hahl, die einzige Frau unter Hütters ProtagonistInnen, gibt sich hingegen genügsam und etwas weniger selbstbewusst. Ihre viel zu große Wollmütze von der Stirn streifend, gibt sie zu, Angst zu haben: "Ich fühle mich immer so, als würde ich irgendwann als Amateurin ertappt werden, als ob jemand herausfinden würde, dass ich überhaupt gar nichts kann, außer Gedichte schreiben." Dass die Newcomerin eine der wenigen Frauen ist, die ihre Texte auf ganz großen Bühnen performt, bringt Marion Hütter in ihrem Film nicht zur Sprache. Poetry-Slammerinnen sind in der Szene nämlich rar und Slambühnen, ähnlich dem rock- und popkulturellen Bereich, hauptsächlich männlich dominiert. Bereits im Titel "Dichter und Kämpfer" vergisst der Film seine weiblichen ProtagonistInnen, außer einmal gegen Ende des Films, als in der Männerrunde "Wenn wir mal eine Meisterin hätten, das wäre mal echt... sexy" gewitzelt wird. Spätestens an dieser Stelle wird klar: die Welt des Poetry-Slams ist a Man´s world, seine Sprache ist es auch. Regisseurin Marion Hütter hat in ihrer Dokumentation leider nicht dazu beigetragen, Frauen innerhalb der Szene sichtbarer zu machen und präsentiert auch sonst lieber kleine Mosaiksteinchen festgefahrener Geschlechterrollen. Junge, kreative, raumeinnehmende Männer stellt sie der nach innen gekehrten, sensiblen Theresa Hahl gegenüber.
Dass das, was aus ihrem Mund sprudelt, viel reichhaltiger und schlagkräftiger als die selbstbewusstesten Phrasen ihrer männlichen Mitstreiter ist, wird jedoch spätestens in den Momenten deutlich, in denen sie die Bühne betritt. Dann hält das Publikum die Luft an und grölt erst, wenn sie ihre Wörter perfekt zu einem Puzzle zusammengesteckt hat und die Bühne wieder verlässt. So viel Zusammenhalt hat Marion Hütters Film leider nicht.
AVIVA-Fazit: Mit einer Aneinanderreihung von Einzelporträts zeigt Filmemacherin Marion Hütter leider nur einzelne Bausteine und kein umfassendes Bild der deutschen Poetry Slam-Szene. In Bild und Sprache verlässt sie sich zu sehr auf das Charisma ihrer ProtagonistInnen, deren Persönlichkeit sie dennoch nur an der Oberfläche berührt. Schade – an Inhalten hätte es wohl nicht gemangelt.
Zur Regisseurin: Marion Hütter wurde 1968 in Berlin geboren und arbeitet seit 20 Jahren als Journalistin und Autorin. Nach ihrem Studium der Deutschen Literatur, Politik und Volkswirtschaft an der FU Berlin und einer Ausbildung an der Berliner Journalistenschule erwarb sie über zehn Jahre Dreherfahrung als Fernsehreporterin. Sie drehte mehr als 50 Fernsehreportagen und Magazinstücke für die Deutsche Welle. Neben Arbeiten im Inland war sie auch in Thailand, Kambodscha, Indien, Peru und Nicaragua tätig. "Dichter und Kämpfer" ist Marion Hütters erster Langfilm. Er lief auf der Berlinale und wurde in der Sektion "Perspektive" auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin 2012 gezeigt. (Quelle: 62. Internationale Filmfestspiele Berlin)
Dichter und Kämpfer
Deutschland 2012
Drehbuch und Regie: Marion Hütter
Kamera: Hannes Staudt
Schnitt: Sebastian Metzger
Musik: Emanuel Grammenos
Verleih: MFA+ FilmDistribution e.K.
Lauflänge: 89 Minuten
Kinostart: 6. September 2012
www.mfa-film.de
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.dichter-und-kaempfer.de
www.myslam.net
www.slammin-poetry.de
www.slampoet.de
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